Benjamin Lang
Komponist

        

Werktexte


Skara Brae (2015) für Flöte, Klarinette, Klavier und Streichquartett

Ein orkanartiger Sturm fegte Anfang Februar 1850 über Schottland und forderte mehr als 200 Tote. Der harsche Wind riss die Erde über einer Erhebung auf dem westlichen Mainland der Orkneysweg und eine jungsteinzeitliche Siedlung Skara Brae (zwischen 3180 bis 2500 v. Chr.– also für ca. 600 Jahre - belebt) kam zum Vorschein. Ausgrabungen begannen, die jedoch 1868 zum Stillstand kamen. Skara Brae blieb bis zur umfangreichen Plünderung 1913 unberührt. Unzählige Artefakte wurden gestohlen. Leider zerstörte ein weiterer Sturm im Jahre 1925 Teile der Siedlung. Ab 1927 wurde dann Skara Brae von Vere Gordon Childe (Professor für Archäologie an der University of Edinburgh) systematisch ausgegraben.
Die Siedlung Skara Brae liegt am traumhaft schönen weißen Sandstrand der Bay of Skaill. Die Einwohner hatten ihre Häuser aus Stein gebaut, da Holz auf den Orkney Inseln rar war. Ein durchschnittliches Haus in dieser Siedlung war 40 qm groß. Die Häuser besaßen eine Feuerstelle in der Mitte, ein Bett und ein Regal. Die Menschen hier stellten ihre Keramik her und hielten Rinder und Schafe.
Heutzutage ist es möglich, die Ausgrabungsstätte zu begehen und einen unmittelbaren  Eindruck von der Lebenswirklichkeit dieses prähistorischen Dorfes zu erlangen. Meine Komposition ist formal inspiriert von einem Foto der Siedlung aus Vogelperspektive. Diese Ausgrabungsstätten gehören für mich zur schottischen Kultur ebenso wie die traditionellen Volkslieder, in denen der Kampf gegen England oder der Traum von Unabhängigkeit besungen wird. In „Scots wha hae“ (eine der drei inoffiziellen Nationalhymnen Schottlands), geschrieben von Robert Burns im 18. Jahrhundert, wird die Ansprache von Robert the Bruce an sein schottisches Heer vor der Schlacht von Bannockburn 1314 wiedergegeben. Dieses Lied wird häufig von Highland Pipe Bands gespielt und ist zentraler Bestandteil der schottischen Kultur. Von diesem Lied und dem Dudelsack-Klang habe ich mich ebenso inspirieren lassen – ohne natürlich diese Klangwelt eins-zu-eins auf das Instrumentalensemble in meiner Komposition übertragen zu wollen – wie von den Volksliedern und den  Ausgrabungen, die die Geschichte auch heute noch direkt erfahrbar machen.

 

Meine Musik möchte Sie einladen, Impressionen dieser Siedlung Skara Brae beim Hören in Ihrer Phantasie entstehen zu lassen.

Viel Vergnügen!



Gleaming Blur (2010) für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier

Gleaming Blur exponiert vage Vorstellungen von Gegenständlichkeiten innerhalb farb- differenzierter Klangmomente. Wie durch dreckiges Wasser durchschimmernde Flecken und Kleckse entwickeln sich hin und wieder scheinbare Ecken, Spitzen und Ränder. Die glänzenden, schimmernden oder schillernden Gegenstände werden nie eindeutig erkennbar, sondern verbleiben als ein vages Gefühl von Konturen.

Die Kontur, die am deutlichsten hervortritt, ist eine in die Zeit gedehnte Silhouette. Durch ein übermäßiges »Heranzoomen« an diese überdeutliche Figuration erhält das Stück seinen formalen Ablauf. Dies führt wiederum zur Detailwahrnehmung und lässt auf diese Weise die einzelnen formalen Einschnitte eher ungewiss erscheinen.

Stellen Sie sich einen trüben Fluss oder See vor, an dem über Jahrtausende hinweg Menschen lebten und hin und wieder wertvolle Gegenstände, z.B. beim Überqueren verloren gingen. Sie schreiten an dem trüben Wasser entlang oder durchfahren es und erfreuen Sie sich an dem Schimmern, Schillern, Funkeln und Glänzen, das Sie wahrnehmen und das Sie vermuten lässt, was alles unter der Wasseroberfläche verborgen sein könnte.

Viel Vergnügen! 



Das Wohltemperierte Klavier (2010)  für Flöte, Klarinette, Klavier, Schlagzeug und Streichquintett 

nach der gleichnamigen Vorlage von J. S. Bach 

„Das Wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach ist eine der bekanntesten Kompositionen vergangener Epochen. Bis heute entfalten die Bachschen Präludien und Fugen ihre fesselnde Faszination und lösen daherbei Pianisten und Publikum gleichermaßen Entzücken aus.

Als ich mich entschloss, eine Auswahl der Fugen zu instrumentieren und zu bearbeiten, entschied ich mich, einzelne Aspekte dieser Musik hervorzukehren, die mich besonders faszinierten. Diese werden gleichsam zur Verdeutlichung aus ihren alten Kontexten herausgelöst und entwickeln eine ganzeigene Dynamik, bei der man sich manchmal stark an Bach erinnert fühlt undmanchmal weit entfernt von ihm.

Die Längen der Fugen und ihrer Takte sind stets genau beibehalten, ebenso die rhythmisch-metrisch exakten Positionen der Noten. Ich wählte jene Bachschen Fugen  des „Wohltemperierten Klaviers“ (Band I) aus, die mich auf besonders charakteristische Weise zum Bearbeiten inspirierten.

So habe ich in Introduktion (Fuge Nr. 1) die thematischen und kontrapunktischen Linien zergliedert in ihre Einzelbausteine. Diese Bausteine erscheinen immer im gleichen Instrument mit der gleichen Spieltechnik. In Landschaft (Fuge Nr. 8) haben mich besonders die chromatischen Linien interessiert.  Die vereinzelt wirkenden Töne, die aus dem Original stammen, werden nach einer kurzen Zeit jeweils um einen Halbton verschoben. In Punkte (Fuge Nr. 4) breiten sich unter den anfangs sehr energetischen Impulsen leise Dur- und Moll-Dreiklänge aus. Diese beginnen an den zeitlichen Positionen der Originalvorlage, bleiben allerdings so lange liegen, bis ein neuer Dur- oder Moll-Dreiklang auftaucht. In Momente (Fuge Nr. 2)  habe ich alle dissonanten Akkorde herausgefiltert, sie erscheinen nun aber losgelöst von ihren tonalen Auflösungen. In Station (Fuge Nr. 11) zeige ich dieStatik, die ich in der Fuge empfand, verbunden mit kleinen Tonleiter- und Glissando-Linien. In Puzzle (Fuge Nr.7) habe ich die Vorlage „zerbrochen“ und diese Bruchstücke neu zusammengesetzt. Zu der Fugenvorlage von Tupfen (Fuge Nr. 16) habe ich eine besondere Beziehung, da ich dieses Stück als Jugendlicher intensiv geübt hatte. Wenn ich dieses Stück höre, zentriert sich für mich alles auf die ersten Töne. In Extrakt (Fuge Nr. 12) bilde ich eine Art Essenz der Fuge, die sicherlich am weitesten vom Original entfernt wirkt. Im Schlusssatz Fragmente (Fuge Nr. 6) werden einzelne Momente aus der Vorlage herausgelöst. Allerdings verdeutliche ich in den Streichern die für mich extrem intensiv wirkende D-Moll/D-Dur-Wirkung des Originals, wodurch sich dieses Stück ideal als Schluss eignet.

Viel Vergnügen!


 

Flickering  (2009)  für Violine  (oder in der Fassung für Viola)

"Flickering" exponiert die unterschiedlichsten Facetten des Flackerns auf virtuose Weise. Die Wahl der Solo-Violine, ein Instrument, das mit seinen spieltechnischen Möglichkeiten äußerst abwechslungsreiche Farbfacetten und gleichzeitig einen hohen Grad an Beweglichkeit besitzt, drängte sich meiner Ansicht nach für dieses virtuose Stück nahezu auf.

Die Idee des Flackerns zeigt sich auf mindestens zwei zeitlichen Ebenengleichzeitig. Zum einen in einer hohen Informationsdichte, in der die einzelnen Klangmomente nur im Zusammenwirken mit den anderen wahrgenommen werden und zumanderen auf der zeitlich in die Form gedehnten Ebene.

 

 

Hazy Lustre  (2010)

Das Stück besteht aus Klangflächen, die sich kontinuierlich in ihrer Dichte und ihren immanenten Klangqualitäten verändern. In den Klangflächen verstecken sich Glanz und Schimmern, welche in den jeweiligen Klangmomenten unterschiedlich stark hervortreten und auf diese Weise die unterschiedlichsten Klangfarben erzeugen.  An mehreren Stellen wird der musikalische Verlauf abrupt unterbrochen. In diesen geräuschhaften Momenten, einer Art auskomponierter Stille, wirkt jede schimmernd-glänzende Klangfarblichkeit verdeckt. Anschließend beginnt eine kontinuierliche Veränderung von Neuem und integriert gleichzeitig musikalisches Material sowie Strukturen von vorher. 

Hazy Lustre  (2010)

The piece exposes textures, which alter continuously in their density and sound quality. Lustre is hidden within these textures, however the lustre appears in various degrees and ways in the different sonic moments, generating diversified tone colours. Several times the process is surprisingly interrupted by noisy soundscapes. It seems that in these moments all lustre is gone. Nevertheless, at these points  new processes begin that integrate musical ideas and structures from the process before. 


strahlen  (2008/09)  für Klarinette, Violine, Viola und Violoncello

„strahlen“ ist eine Bearbeitung meines 1. Streichquartettes. Ursprünglich als „großes“ Werk (also von 50-minütiger Dauer) konzipiert, entschied ich mich für eine stark komprimierte Komposition, die nur noch Bruchstücke der ursprünglichen Skizzen enthält. Das dadurch entstehende ständige, schnelle Wechseln der Farben erinnert an Lichtstrahlen, die durch bunte Kirchenfenster „gebrochen“ werden.

 

 

Symphonie Nr. 1  (2008)

In my Symphony I explore the complex interaction of several compositional strategies.  Where as the pitches are organized inspired by the colourful sonic world of spectral music, dynamics and form are based on a strictly structured time table.

Within the first mouvement a quotation from „The Abschied“ from the „Song of the earth“ by Gustav Mahler occurs as a central moment of the piece surrounded by colorful textures - a tribute to Mahler who died in 1911, exactly 100 years ago.

The second mouvement, being slow, uses a gesture from „The Abschied“. This gesture is slowed down and  opens gradually the view to an enchanting sound scape. There is no obvious metrum that can be felt; it seems to be an endless moment.  Contrasting to this, the third mouvement exposes strong rhythmic textures.  A bongo solo is is accompanied by the orchestra.   From time to time, the rhythm stops, giving space to reminiscences of the floating second mouvement.